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Im März 2020 kam unsere gewohnte Geschäftswelt abrupt zum Stillstand. Wir erinnern uns alle noch sehr gut und mit Schaudern an diesen ersten, harten Lockdown in Deutschland – ausgelöst durch ein Virus.

Auch auf die unzähligen Vertriebsabteilungen landauf landab hatte dies enorme Auswirkungen. Laut der Fachzeitschrift SalesExcellence (Ausgabe 1-2 | 2022) gibt es knapp 4 Millionen Vertriebsmitarbeitende in Deutschland. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten rund 50 Tage im Jahr1 „on the road“, verbrachten also viel Zeit auswärts bei ihren Kundinnen und Kunden. Von einem Tag auf den anderen war nun Schluss damit. Die Firmen ließen keine Besuche mehr zu und viele der Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zogen gleich ins Homeoffice.

Für 89 Prozent der Mitarbeitenden im Außendienst waren nun überhaupt keine persönlichen Kundentermine mehr möglich², so das Ergebnis einer Befragung der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2021 unter 777 Führungskräften aus B2B-Unternehmen in der DACH-Region. Der Kommunikationsfaden zu Bestands- und Neukunden drohte abzureißen.

Wie im gesamten B2B-Bereich war auch in der Audiobranche eine schnelle Reaktion gefordert, sowohl bei den Radiosendern als auch bei den nationalen Vermarktern. Doch jetzt zeigte sich, dass bis zum Start der Pandemie nur ein knappes Drittel überhaupt digitale Kommunikationskanäle wie Videocalls oder Online-Demos, z. B. für Produktvorstellungen, eingesetzt hatten. Zuallererst waren deshalb die IT-Abteilungen gefragt, schnellstmöglich PCs, Laptops und Smartphones mit geeigneter Software, vor allem für Videokonferenzen, anzuschaffen. Im beruflichen wie im privaten Umfeld beschäftigte sich notgedrungen jeder mit „Zoom“, „Teams“, „GoTo“ und mehr. Apps und Programme, die es größtenteils schon lange gab. Die aber bis dahin nur eine Minderheit interessierte, zumindest wenn sie ihre Geschäfte nicht über den Atlantik, sondern in der Region tätigten. Trotz teils kostenloser Nutzung fiel es gerade KMUs nicht immer leicht, auf die Schnelle alle Mitarbeitenden mit Geräten und Zubehör auszustatten. Webcams waren oft gar nicht mehr oder nur zu deutlich erhöhten Preisen zu bekommen, und wenn dann alles beisammen war, reichte die WLAN-Kapazität in vielen Homeoffices, aber auch in manchen Firmen nicht für störungsfreie Online-Meetings.

Vertriebsorganisationen hatten Anfang 2020 nicht nur mit technischen Problemen, sondern auch mit einem erhöhtem Überzeugungs- und Schulungsbedarf bei Innen- und Außendienstmitarbeitenden zu kämpfen. „Wie funktioniert das?“, „Was mache ich, wenn die Verbindung mit meinem Kunden mitten im Gespräch abreißt oder meine Kinder plötzlich durch das Bild laufen?“, „Ich möchte mein Schlafzimmer, das nun auch als Homeoffice dienen muss, nicht einem geschäftlichen Umfeld zeigen“, diese und ähnliche Fragen beschäftigten auch die erfahrensten Außendienstmitarbeitenden, während sie davor für alle Eventualitäten im Außeneinsatz (aus-)gerüstet waren, vom Ersatz-Akku bis zum Ersatzjackett.

Unsicherheiten und schlechte technische Ausstattung sind aber keine guten Voraussetzungen für zielorientierte, entspannte und erfolgreiche Kundengespräche.

Unterscheidung nach Kundengröße

Ein Trost: Auf Kundenseite sah es meist genauso aus! Plötzlich saß der coole Typ von der Werbeagentur nicht mehr im Design-Büro, sondern in seinem Wohnzimmer mit Kleinkind auf dem Schoß, denn Kitas und Schulen waren ja bekanntlich auch geschlossen. Und der gewohnt elegante Look der Marketing-Leiterin vom Möbelhaus war daheim einem verwaschenen T-Shirt gewichen. So manche „überraschende“ Online-Begegnung und so manches Geschäftsgespräch wurden, nicht zuletzt durch anhaltende technische Probleme, sehr humorvoll. Im Laufe des Jahres 2020, so das Ergebnis der o. g. Studie der Ruhr-Universität, nutzten dann bereits 86,5 Prozent der Unternehmen Videocalls, und fast die Hälfte führte Videocalls per Smartphone durch, z. B. über „WhatsApp“. Auch die Kommunikation über LinkedIn stieg von knapp 28 auf über 44 Prozent.

Die Studie ergab auch, dass besonders internationale Kundinnen und Kunden, so genannte „Global Accounts“, eine sehr hohe Akzeptanz von „Online-Besuchen“ zeigen. Knapp 80 Prozent akzeptieren diese Art des Kontaktes zu ihren Lieferantinnen und Lieferanten voll. Dicht gefolgt von den A-Kundinnen und Kunden/Key Accounts mit 76 Prozent Akzeptanz. Bei B- und C-Kundinnen und -Kunden zeigt sich aber deutlich mehr Skepsis. Mehr als ein Drittel der C-Kundschaft akzeptiert beispielsweise keine Videocalls, sondern wünscht persönliche Besuche vor Ort. Was also ausgelöst durch die Pandemie zur Notwendigkeit wurde, nämlich die Nutzung digitaler Vertriebswege, kann heute und in Zukunft eine zusätzliche Chance sein, allerdings nicht in allen Teilen der „Buying Journey“.

Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandskundinnen und -kunden

Vertriebe sollten beim Einsatz von digitaler Vertriebskommunikation zwischen Neu- und Bestandskundinnen und -kunden unterscheiden. Fast drei Viertel aller Befragten in der o. g. Studie sehen eine hohe Akzeptanz bei bestehenden Kundinnen und Kunden für folgende Teile der Buying Journey:

  • Wiederholungskauf/Nachbestellung eines bekannten Produkts
  • Beratung zu neuen Produkten
  • Abwicklung, Koordination und Problemlösung
  • Verhandlungstermin

Zur Beziehungspflege ist aber der direkte menschliche Kontakt unabdingbar. Digitale Kommunikationswege erschweren das Erkennen von nonverbalen Signalen wie Körperhaltung, Mimik und Gestik. Daher sollten auch die langjährigsten, treuesten Bestandskunden und -kundinnen persönlich besucht werden. Wie häufig das sinnvoll ist, müssen Vertriebsabteilungen aus der Erfahrung beurteilen oder – noch besser – durch die Befragung ihrer Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner herausfinden. Nicht nur persönliche Termine zu zweit und Treffen in kleinerer Runde sind wieder möglich, sondern auch Messen und Kongresse als persönliche „Touchpoints“ mit Kundinnen und Kunden. Ob Einladungen ins eigene Unternehmen oder die Wiederaufnahme der Kundenbesuche durch das Außendienst-Team – gerade die KMUs konnten sich in der Phase nach den Lockdowns ganz schnell wieder auf die altbewährten „analogen“ Vertriebswege umstellen. Dennoch sollten auch sie sich nicht wieder ausschließlich darauf verlassen und an der digitalen Transformation dranbleiben.

Bei der Ansprache von neuen Kundinnen und Kunden im B2B-Sektor muss man zunächst die jeweilige Buying Journey genau betrachten und analysieren. Klar ist, dass viele die ersten Informationen über ein Unternehmen und seine Angebote gerne digital erhalten möchten. Wir alle kennen aus unserem Privatleben die Vorteile der Online-Recherche mittels Suchmaschinen, wir schätzen die Inspiration durch Social-Media-Kanäle und bedienen unsere Spezialinteressen aus elektronischen Newslettern, Firmenwebsites, White Papers oder Chat-Bots. All diese Medien und Kanäle sind auch im B2B-Vertrieb sinnvolle Online-Touchpoints für potenzielle Neukundinnen und -kunden. Es sollten möglichst vielfältige digitale Wege zum Kennenlernen des Unternehmens, seiner Leistungen und Produkte angeboten werden.

Einige Interessierte werden sogar die gesamte Buying Journey von der Erstinformation über das Angebot, die Verhandlung, den Abschluss und die Abwicklung ihres Auftrags komplett digital durchlaufen wollen. Aber noch wünschen sich gemäß der erwähnten Studie mehr als die Hälfte aller Neukunden und -kundinnen für die erste Kontaktanbahnung, die Erstberatung, Preisverhandlungen sowie für ein Follow-Up einen persönlichen Kontakt. Für diese Aufgaben sind die hohen sozialen Kompetenzen und der Erfahrungsschatz eines guten Vertriebsteams sehr wertvoll. Anders ausgedrückt werden hier die „menschlichen“ Ressourcen besonders sinnvoll eingesetzt. Aber schon bei der Abwicklung, Organisation und Koordination der Aufträge können auch bei neuen Kundinnen und Kunden hervorragend digitale Kommunikationskanäle genutzt werden.

Hybrider Vertrieb bleibt

Die als „hybrider Vertrieb“ bezeichnete Vielfalt digitaler und realer Kommunikationswege ist gekommen, um zu bleiben. „Hybrid Selling“ bedeutet in mehrfacher Hinsicht einen Produktivitätsschub für B2B-Unternehmen1.

Eine vervierfachte Anzahl an Kundenbesuchen² ist möglich, wenn diese als Videocalls anstelle von Vor-Ort-Besuchen durchgeführt werden. Nach Berechnungen der Ruhr-Universität Bochum ergeben sich im Schnitt 8,5 Stunden zusätzliche Kapazitäten pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter im Außendienst. Diese Zeit kann für eine bessere Marktbearbeitung genutzt werden und steigert die Effektivität und Effizienz eines Vertriebsteams.

Der immer größer werdende Fachkräftemangel macht auch vor dem Medienvertrieb nicht halt. Es wird für Radiosender und Vermarkter immer schwieriger, geeignetes Personal für den Vertrieb zu finden und zu halten. Dies trifft vor allem auch auf den Außendiensteinsatz zu. Durch hybride Vertriebswege können aber Teile der Buying Journey noch besser von Innendienst-Mitarbeitenden übernommen oder sogar vollständig digital automatisiert werden. Auch der Innendienst kann problemlos Online-Besuchstermine, z. B. für die Abwicklung von Aufträgen oder Wiederholungskäufen, durchführen, die bis vor kurzem noch vom Außendienst erledigt wurden. Zudem steigt die Flexibilität und damit Zufriedenheit der Mitarbeitenden, die durch die Reduzierung von Reisen und mögliche Remote-Arbeit eine bessere Work-Life-Balance erzielen können³.

Überwiegend C-Kundschaft im Audiobereich

Im Radiogeschäft stehen die Vertriebe seit langem vor der Herausforderung, viele kleine C-Kundinnen und -Kunden (z. B. das örtliche Autohaus) betreuen zu müssen. Ein Besuch vor Ort dauert mit Vorbereitung, Anfahrt, Gespräch, Rückfahrt und Nachbereitung ebenso lange wie der eines Key Accounts. Durch den hybriden Vertrieb können einerseits mehr Kundinnen und Kunden mit kleinen Umsätzen betreut werden und diese andererseits auch häufiger sowie regelmäßiger kontaktiert werden. Die Aufgabe für Verkaufsführungskräfte besteht nun darin, klare Prozesse für hybride Kundenbetreuung zu schaffen und die nötigen digitalen Applikationen dafür einzuführen. Ein leistungsfähiges CRM-System ist dazu ebenso nötig wie ein funktionierendes und in den Kalender integriertes Videocall-System, eine E-Mail-Marketing-Software, die eine Erfolgsmessung zulässt, in Zukunft auch Prognosetools auf KI-Basis und eine durchdachte digitale Marketingstrategie bzgl. Social Media, SEO, Websites, Content und Inbound.

Chancen und Herausforderungen für Führungskräfte

Hybrid Selling bietet auch in der Audio-Vermarktung viele Vorteile:

  • Mehr Produktivität
  • Automatisierungspotenzial für bestimmte Arbeitsprozesse
  • Mehr Flexibilität und damit Zufriedenheit von Mitarbeitenden
  • Mehr Kundenzufriedenheit durch Auswahlmöglichkeiten der Kommunikationswege und sinnvolle Kontaktfrequenzen
  • Höhere Datengenerierung durch digitale Zusammenarbeit und dadurch besseres Kennenlernen der Kundinnen und Kunden sowie Erhalt der Basis für Prognose- und Analysetools.
  • Synergien zwischen Marketing und Vertrieb: „Marketing-Automation, Online-Lead-Generierung und Lead-Nurturing werden zum Zulieferer für den Vertrieb.“³
  • Last but not least: Kosten- sowie CO2-Einsparungen durch den Wegfall von Reisen

Herausforderungen und Risiken entstehen für Führungskräfte durch die Wahl der richtigen Systeme, die fällige Neukonzeption vieler Arbeitsprozesse und das Finden einer Balance zwischen digitalen und analogen Kommunikationswegen. „Wer möchte wann in welcher Phase der Buying Journey wie in Kontakt mit uns treten?“ Diese Frage müssen sich Vertriebsorganisationen immer wieder stellen. Nicht zuletzt müssen Mitarbeitende im Innen- und Außendienst sowie im Marketing auf diesen nun längerfristig bleibenden Weg des hybriden Verkaufs mitgenommen werden. Medienberaterinnen und -berater werden nicht immer gerne dauerhaft auf die Freiheit im Außendienst-Einsatz verzichten. Und nicht alle im Innendienst Beschäftigten präferieren Videocalls gegenüber dem guten alten Telefonanruf. Teamgeist, eine enge Verzahnung aller Arbeitsprozesse, Investitionen, Selbstreflektion als Vertriebsabteilung, Weiterbildung und Coaching der Mitarbeitenden sind hier die Schlüsselbegriffe. Und natürlich sollte im Mittelpunkt aller Bemühungen die Kundschaft stehen. Aber das war auch schon vor Corona so.

Quellen:

1Dr. Huckemann, Matthias: Titelbeitrag zur Vertriebsarbeit in der Pandemie, SalesExcellence, Ausgabe 1-2 | 2022, S. 10
²Prof. Dr. Schmitz / Dr. Huckemann: Hybrid Selling: Mehr Vertriebsproduktivität durch synchronisierte Vor-Ort- und Online-Besuche, 2021, Studie der Ruhr-Uni Bochum
³Heintze, Robin: Hybrid-Selling: So sehen Marketing und Vertrieb im Jahr 2022 aus, t3n.de/news, 22.02.2022

Ihre Andrea Anders

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