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Die Pandemie hat viele Gewissheiten und Gewohnheiten der letzten Jahre auf den Kopf gestellt. Im B2B-Vertrieb hat sie den Sales-Teams von einem Tag auf den anderen die Basis für ihre Arbeit weggenommen: Präsenztermine mit Entscheidern auf der Einkaufsseite! 

Zwar hat eine gewisse Rückkehr zu persönlichen Treffen stattgefunden, aber „die guten, alten Zeiten“ mit vielen Messen, Workshops, Netzwerkveranstaltungen und täglichen Terminen vor Ort werden nicht wiederkehren. Die McKinsey-Studie „German B2B decision maker response to COVID-19-crisis“ zeigt, dass künftig nur noch 20 bis 30 Prozent aller B2B-Käuferinnen und -Käufer jemals persönlich mit Mitarbeitenden aus dem Vertrieb kommunizieren möchten. Rund 90 Prozent erwarten, dass Remote-Kommunikationswege dauerhaft bleiben und mindestens genau so effektiv oder besser als bisherige Vertriebswege funktionieren. Und sogar 95% der B2B-Einkäufer und -Einkäuferinnen geben an, Käufe im Self-Service tätigen zu wollen. Ausgaben von 50.000 Dollar oder mehr seien dabei kein Problem. 

Was sind die Gründe für diese Präferenzen von B2B-Einkaufenden? Genannt werden vor allem drei: 

  • Einfache Terminierung, leichte Planbarkeit
  • Einsparung von Reisekosten und Zeit
  • Höherer Wirkungsgrad

Kundinnen und Kunden aus Unternehmen und Agenturen fordern also mit überwältigender Mehrheit digitale Ansätze von B2B-Vertrieben. Sie möchten sich digital über Leistungen und Services informieren, lieber digital kommunizieren und sind bereit, über Selbstbedienungsplattformen einzukaufen. Dabei sind sogar Umsätze möglich, die über das jährliche Radio-Budget eines durchschnittlichen Lokal- oder Regional-Werbetreibenden hinausgehen. 

Salesteams setzt diese Erwartungshaltung unter Druck, denn welche Sendegruppe verfügt beispielsweise bereits über einen elektronischen Shop? Gleichzeitig bieten sich hier aber sehr viele Chancen für die Zukunft. Bisher wurden Sales-Aktivitäten meist proaktiv von der Vertriebsabteilung nach dem Push-Prinzip ausgelöst. Nun wollen Kundinnen und Kunden Kaufimpulse nach dem Pull-Prinzip selbst veranlassen. 

Wie kann man nun vorgehen, um dieses Pull-Prinzip für das eigene Unternehmen zu nutzen? Zuerst sollte die Customer Journey der eigenen Kundschaft möglichst detailliert untersucht und dokumentiert werden. Was genau in den drei Verkaufsphasen Presales, Sales und Aftersales passiert, muss bekannt sein. 

Alle Touchpoints dieser Kundenreisen werden daraufhin geprüft, ob sie auch digital erfolgen können. Die eigene Website, die Social-Media-Auftritte des Unternehmens und der Vertriebsmitarbeitenden bei LinkedIn, Xing, Facebook, YouTube und mehr müssen den neuen, umfangreicheren Informationsbedürfnissen angepasst werden. Gibt es Whitepaper, Blogs, Artikel, Beiträge, Preisinformationen als Download? 

Alle Kommunikationswege zwischen externen und internen Ansprechpartnerinnen und -partnern können analysiert werden. Stehen allen die gängigen Videokonferenztools zur Verfügung und können sie damit umgehen? Potenzielle und bestehende Kundinnen und Kunden wünschen sich vielleicht die Nutzung von Terminplanungssoftware zur Vereinbarung von Videokonferenzen mit ihren Kontakten in Sales, Produktmanagement und Campaign Management.  

Für die digitale Kommunikation mit bestehenden Vertragspartnern eignen sich oft Kundenportale besonders gut (siehe Blogbeitrag Automated Sales). Hier können aus Sicht des Unternehmens ebenso vertraulichere Informationen und konkrete Angebote proaktiv eingestellt werden sowie alle auftragsrelevanten Daten von Verträgen bis Rechnungen. Kundinnen und Kunden können jederzeit nach eigenem Gusto und Timing Informationen abrufen, Aufträge erteilen oder Fragen – zum Beispiel zu Details in konkreten Projekten – per Chatfunktion stellen. 

Ein Online-Shop klingt vielleicht für Radiovermarkter überraschend. Aber wenn Kundinnen und Kunden selbst bereit sind, auch hohe Ausgaben im Self-Service zu tätigen, sollte eine solche Idee auch für den Verkauf von Audiowerbung geprüft werden. Per Marktforschung können die eigenen Kunden dazu genauer befragt werden. Und möglicherweise bietet sich ein softer Einstieg an, bei dem nur bestimmte Leistungspakete oder Sekunden in einer Last-Minute-Auktion gebucht werden können. Gerade im Privatradio sind fertig geschnürte Pakete für Radiowerbung, Sonderwerbeformen oder Events sehr gängig. Ich erinnere hier an das Verkehrs- oder Wettersponsoring, Sekundenpakete mit Schieberecht, Ticketverlosungen oder Party-DJ-Pakete. 

Wer Bedenken hat, seine Preise für alle – auch die Mitbewerber – so transparent zu machen, kann den schnellen und unkomplizierten Einkauf solcher Angebote auch nur bestehenden Kunden, beispielsweise über das eigene Kundenportal, ermöglichen. Gerade für Nachbestellungen von Stammkunden bietet es sich besonders an, hier Self-Service-Möglichkeiten zu schaffen! 

Natürlich gehören auch andere Plattformen zum automatisierten bzw. programmatischen Verkauf Ihres Werbeinventares zum Werkzeug des digitalen Vertriebs. In anderen Mediengattungen wie DOOH, Display, Video, Adressable TV oder Kino ist der Handel zwischen DSPs und SSPs schon Alltag. Sogar Anzeigen in Printmagazinen und Tageszeitungen können inzwischen von Agenturen eingekauft werden, ohne dass es Kontakt mit Verkaufskolleginnen oder -kollegen der Publisher bedarf. Radio hat hier noch einen gewissen Weg vor sich, aber das Ziel ist klar. 

Auf initialen Widerstand der eigenen Außendienst-Mitarbeitenden bei der Umsetzung solcher digitalen Strategien wird manches Sendermanagement stoßen. Einwände wie „Unsere regionalen Kunden wollen mich aber weiterhin persönlich treffen“ oder „Ohne persönlichen Verkauf ist Radiowerbung zu erklärungsbedürftig“ werden kommen. Meine Empfehlung lautet, dazu zwei Dinge zu tun: 

1. Prüfen, was sich hinter den Einwänden wirklich verbirgt. Sind es Ängste des Teams, irgendwann überflüssig zu werden oder Einfluss zu verlieren? Welche (Stamm-)Kunden gehören zu den 20 bis 30%, die persönliche Gespräche allen anderen Kommunikationswegen mit B2B-Vertriebsmitarbeitenden weiterhin vorziehen? Verfügen wir bereits über genügend Informationsmaterial zur leicht verständlichen Erläuterung unserer Produkte und Leistungen, so dass Kunden sich selbst „aufklären“ können? 

2. Die obigen Punkte adressieren und bearbeiten. Es geht nicht darum, dem Außendienst Kontaktpunkte mit Kundinnen und Kunden und gute persönliche Beziehungen „wegzunehmen“, sondern im Gegenteil neue – digitale – Kontakte zu ermöglichen und moderne Kundenbedürfnisse adäquat zu befriedigen. 

Diese Transformationsprozesse bedürfen mehrerer Voraussetzungen, um sie zum Erfolg zu führen: 

  • Mitarbeiterskills – Weiterbildung in digitalen Technologien und -Strategien ist hier das Stichwort
  • Wissen um die Wünsche der eigenen Kundinnen und Kunden – Marktforschung und ein exzellent gepflegtes und auswertbares CRM-System, welches alle im Unternehmen vom Empfang bis zur Eventabteilung nutzen, sind hier hilfreich
  • Berücksichtigung aller Touchpoints in der Customer Journey
  • Eine digitale Strategie für den gesamten Sales-Bereich 
  • Mut für neue Wege und Durchhaltevermögen, wenn einzelne Ideen nicht gleich zünden

Hilfe auf diesem Weg zu einem digitaleren B2B-Vertrieb kann sich die Sales-Abteilung extern holen, aber auch die eigene Marketingabteilung muss zwingend eingebunden werden. Im Marketing beschäftigt man sich bereits länger mit Automation. Weitere Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise aus dem digitalen Einkauf von Medien oder dem Social Media-Bereich, können helfen. Gemeinsam sollte festgelegt werden, welche Prozesse von der Leadgenerierung bis zur Kundenbindung gemeinsam neu strukturiert werden müssen und wer wie Einfluss auf die Kaufentscheidung der Kunden nehmen kann. 

 

 

Ihre Andrea Anders

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