© aprile consulting GmbH/freepik
Seit Jahrzehnten befasse ich mich intensiv mit der Zukunftssicherung des Radiogeschäfts, genauer des Werbegeschäfts der privaten Radiopublisher. Es ist ein schwieriges, wie wir wissen. Denn die Medienlandschaft wandelt sich ebenso schnell wie die Vorhersagen zur Geschäftsentwicklung und Zukunft des klassischen Radios. Mal ist es Online Audio, das Radio angeblich ersetzen und beerben wird. Mal wird die Medienkonvergenz, mal KI als Game-Changer gehypt. Die Analysen, Prognosen und Empfehlungen wechseln und widersprechen sich nicht selten. Trotzdem verkaufen die „Experten“ ihr Konzept meist als das einzig richtige.
Aktuell werden in der Branche Online-Booking und Programmatic als alleinige und revolutionäre Heilsbringer für das Radiogeschäft angepriesen. Alles soll umgekrempelt werden, die aktuellen Systeme ausgewechselt oder abgeschafft, das komplette Werbegeschäft auf eine einzige Online-Plattform verlagert werden. Kein Stein soll auf dem anderen bleiben. All das funktioniere „ganz einfach“ und noch dazu billiger, wie bestimmte Plattformbetreiber behaupten. Solche vollmundigen und unbelegten Versprechen machen zurecht misstrauisch.
Was also tun? Welchen Weg einschlagen? Auf welches Geschäftsmodell setzen?
Nach 30 Jahren Geschäfts- und Beratungstätigkeit darf ich in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich die Radio- und Audiobranche in- und auswendig kenne. Als Mitgründer und Geschäftsführer des im DACH-Raum marktführenden Werbemanagementsystems „amily“ und einer der ersten digitalen Handelsplattformen für lineare Radiowerbung „amy“ erlaube ich mir die Feststellung, dass es schlicht und einfach keine „ganz alleingültigen Lösungen und Patentrezepte“ gibt. Dafür sind die Marktteilnehmer, deren Interessen und Geschäftsmodelle – vom Mini-Lokalsender bis hin zum globalen Medienkonzern – viel zu heterogen.
Die Realität des Radio-Werbegeschäfts besteht aus vielen Modellen mit vielen Nuancen. Alle zusammen sichern seit Jahren den Werbeertrag und damit Tausende von Arbeitsplätzen. Die Erfahrung lehrt, diese Modelle nicht zugunsten eines vermeintlich aktuellen Trends komplett über Bord zu werfen. Gleiches gilt für IT-Programme und -Systeme, die Radiosender und Vermarkter vielleicht seit Jahrzehnten im Einsatz haben.
Es gibt also nach meiner festen Überzeugung kein hochriskantes „Entweder-oder“, sondern nur ein auf Dauer tragfähiges, solides „Sowohl als auch“. Das klassische Radio-Werbegeschäft ist nach wie vor die starke Einnahmequelle, die keinesfalls in Gefahr gebracht werden darf. Das zeigen u. a. die Werbeerlöse von Online Audio, die weit weniger stark zulegten als ihre Protagonisten prophezeiten.
Ich empfehle stattdessen jedem Publisher einen kontinuierlichen, nachhaltigen und risikoarmen Veränderungs- und Modernisierungsprozess, der die Teams mitnimmt, bewährte Prozesse und Systeme optimiert und neue Ansätze, Technologien und Modelle harmonisch integriert.
Integration und Evolution
Ich bin überzeugt davon, dass aus einem integrativen, evolutionären Ansatz heraus die Weiterentwicklung eines funktionierenden Geschäfts am besten vorangetrieben werden kann. Integrativ bedeutet, dass bestehende und neue Geschäftsmodelle koexistieren können. Harmonisch aufeinander abgestimmt. Das Bestehende produziert weiter, Neues wird integriert und wieder Neues entsteht daraus.
Das ist nicht „revolutionär“, aber evolutionär, risikominimiert und deswegen realistisch. So ist Veränderung für jedes Unternehmen in seinem individuellen Tempo machbar und nachhaltig erfolgreich.
Konvergenz
Machen wir uns nichts vor: Nach 15 Jahren Online Audio-Vermarktung hat sich diese Monetarisierungsquelle bestenfalls zu einem guten Zubrot entwickelt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten als Radiopublisher das klassische Radiogeschäft (IO) über Bord geworfen, um alles auf diese Karte zu setzen. Das wäre vermutlich Ihr finanzieller Ruin gewesen. Denn nach wie vor sichert, wie oben bereits erwähnt, das klassische Radio das Hauptgeschäft.
Mein Rezept lautet deshalb: Erweitern und Integrieren. Neue Quellen erschließen, ohne Radio als zentrale Einnahmequelle zu vernachlässigen. Neue Vermarktungswege einschlagen, ohne bewährte über Bord zu werfen.
Vernetzung
Jedes Unternehmen ist ein komplexes Gebilde, in dem viele Akteure und Systeme ihre Funktion erfüllen und miteinander verbunden sind. Durch kluge Vernetzung und eine reibungslose Kommunikation können verschiedene Strategien und die jeweils besten Lösungen für bestimmte Aufgaben und Funktionen kombiniert werden. Das ist die Grundlage für alles Weitere und garantiert eine höhere Flexibilität und Unabhängigkeit als sich auf einen einzigen Lösungsweg zu verlassen.
Automatisierung
Automatisierung ist nicht alles. Aber alles ist nichts ohne Automatisierung.
Ganz so dramatisch ist es sicher nicht, doch wer im schnelllebigen Wettbewerb bestehen will, kann auf hocheffiziente, automatisierte Prozesse und Funktionen nicht verzichten. Und zwar in allen Bereichen des Geschäftsbetriebs: von der Leadgenerierung bis zur Abrechnung.
Programmatic
Die Automatisierung von Verkaufs- und Buchungsprozessen spielt eine zentrale Rolle. Der programmatische Handel von linearem Werbeinventar auf Online-Plattformen ist in meinen Augen sicher nicht die „einzig wahre Zukunft“ des Radiogeschäfts, wie manche behaupten. Er ist aber eine zusätzliche Erlösquelle für das Radiogeschäft, die möglichst jeder Radiopublisher erschließen sollte. Ein dritter, weitgehend automatisierter Weg neben der bewährten lokalen und nationalen Vermarktung, den viele Werbetreibende und Agenturen für ihre Kampagnen bereits heute bevorzugen.
Am einfachsten wird es für die Publisher, wenn „echtes“ Radioinventar direkt und automatisch aus ihrem bestehenden Werbemanagementsystem heraus angeboten und elektronisch erfolgte Buchungen wieder direkt in die Kampagnensteuerung eingepflegt werden kann. Und selbstverständlich muss sichergestellt sein, dass die Verkäufer bzw. Publisher die Hoheit über die Verwendung ihres Inventars behalten. Nur sie sollen entscheiden, welcher Teil ihres Inventars wann und zu welchen Konditionen für den elektronischen Handel freigegeben wird. Und welche Kunden in ihrem Programm werben oder eben nicht.
Jeder Automatisierungsansatz wäre unvollständig, wenn er nicht den gesamten Prozess abbilden würde. D.h. der Vorteil der automatisierten bzw. programmatischen Inventarvermarktung kommt nur dann richtig zum Tragen, wenn die so verkaufte Werbung ebenso automatisiert an die Sendesysteme übermittelt, ausgespielt und abgerechnet wird.
So schließt sich der Kreis: „Programmatic“ für Radio ist nach meiner Überzeugung ein verführerischer, aber riskanter Hype, wenn Publisher ihr Geschäftsmodell von heute auf morgen aufgeben und ihre Vermarktung radikal darauf abstellen. Programmatic ist dagegen eine Riesenchance, den Abstand zur digitalen Konkurrenz (Stichwort GAFA) zu verringern und neue Kunden zu gewinnen. Vorausgesetzt, die Technologie wird evolutionär in das bestehende Geschäftsmodell integriert und weiterentwickelt.
Bleiben Sie gespannt auf die Zukunft.
Ihr Nico Aprile
Lesen Sie hier mehr über unsere Autorinnen und Autoren
Diese Beiträge könnten Sie interessieren.