Das also ist des Radios Kern?

Das also ist des Radios Kern?

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Im Marketing sprechen wir oft vom Markenkern, also die Basis einer Marke, welche die grundlegenden Werte, Ziele und Visionen definiert. Andere Marketingverantwortliche sprechen vom USP, also vom Kaufanreiz, der geboten wird, mit dem man sich von der Konkurrenz abhebt. Alles klar und logisch, wenn da nicht die eine Frage wäre. Die Frage, die mich beim Thema Radio umtreibt. Was ist eigentlich mein Produkt? Was ist eigentlich Radio? Wo fängt es an, wo hört es auf? Und was ist zwischendrin?

Kurz erwähnt sei, dass ich kein Neuling auf dem Gebiet der “Etwas-zu-hören”-Vermarktung bin. Ich kenne mich durchaus aus, aber ich scheitere immer mehr daran, das Produkt RADIO zu definieren. Schaue ich mir beispielsweise die Media Analyse an, dann gibt es da Audio, Radio, Online Audio, DAB+, Simulcast, User generated Radio, Web-only Sender, Musikstreaming usw. In der Studie Massenkommunikation Trends tauchen unter der Rubrik Audio noch Podcasts und Musik über Youtube auf, und im Online Audio Monitor wird auch noch von Online-“Ablegern” der klassischen Radiosender gesprochen. 

Unter Audio wird ein aus meiner Sicht wirrer Mix aus Übertragungswegen, Werbeangeboten, Plattformen und Programmangeboten subsumiert, dessen Teilmenge je nach Interpretation als Radio bezeichnet wird. Und wenn ich dann noch zu meiner Hausfreundin Alexa sage: “Spiel Hard Rock” und sie mir freundlich antwortet: “Wiedergabe des Radiosenders Hard Rock von amazon music“, dann spätestens bin ich ganz raus. Ein Radiosender von amazon der Hard Rock heißt? Echt jetzt?

Kommen wir zurück zur Kernfrage: Was ist eigentlich Radio und was ist der Markenkern von Radio? Was ist der USP von Radio, der dazu beiträgt, dass täglich 53 Millionen Menschen über 4 Stunden lang diesem Medium zuhören?

Gar nicht so einfach übergreifend zu definieren. Und um jetzt nicht einen Shitstorm zu ernten mit ganz vielen Definitionen, Quellenangaben und Studienergebnissen, verabschiede ich mich von einer allgemeingültigen Definition und definiere einfach nur für mich meine “Radioformel“. Die beiden ganz großen Faktoren, die für mich etwas Gehörtes zu Radio machen, sind das Kuratieren der Inhalte und die Moderation mit Information und Unterhaltung. 

Das heißt also:

  1. Ich wähle ein Produkt, welches mir nach meinen Vorgaben (Musikvorlieben, Region o.ä.) entsprechende auditive Inhalte liefert, die ich nicht selber zusammenstellen muss, die ich aber auch zeitlich und inhaltlich nicht maßgeblich verändern kann.
  2. Innerhalb dieses Produktes werde ich von einer Moderation begleitet. Egal ob diese mir nur kurz sagt, wie ein Musiktitel heißt, welche Uhrzeit es ist oder mir stundenlang redaktionelle Beiträge zum Weltgeschehen erzählt.

Beim Schreiben dieser “Radioformel“ rattert es die ganze Zeit in meinem Kopf, ob ich allen Ausnahmen, Eventualitäten und Neuerungen gerecht werde. Am liebsten würde ich mit tausend Fußnoten arbeiten. Wird diese Definition zum Beispiel dem neuen „Skipping“ im Radio gerecht? Oder der Möglichkeit das Programm so zu beeinflussen, dass ich nie wieder Peter Maffay hören muss? Oder reicht die spärliche Moderation meines Lieblings-Webradios wirklich für diese Formel aus? Und was ist mit künstlichen Stimmen? Ist ein Radio Helgoland, welches komplett über KI erstellt wird, mit künstlichen Stimmen und programmierter Musikauswahl wirklich Radio?

Für mich macht Radio aus, dass es mich durch den Tag begleitet und authentisch ist. Dass jemand für mich die Musik und die Informationen raussucht, der oder die das kann, und ich mich beim Hören auf das konzentrieren kann, was ich gerade zu erledigen habe. Der mich überrascht, der mich unterhält, zum Lachen bringt und warnt. Und das live. Oder zumindest so, dass ich das Gefühl habe, dass es live ist. Egal ob mit künstlicher Stimme oder mit einer automatisch generierten Playlist. Aber da ist jemand im Radio, der mich anspricht. 

Und ich finde es übrigens ganz großartig, wenn ich beim Hören keine Entscheidungen treffen muss. Es kommt, was kommt. Ich muss nicht so lange “weiter“ sagen, bis mir endlich genau das Lied gespielt wird, welches ich vermeintlich hören will. Ich warte, bis die Nachrichten kommen. Und ich höre sie dann, egal ob ich von mir aus gerade auf die Idee gekommen wäre, mich zu informieren, oder nicht. Ich höre das neue Lied von einem Musiker, den ich eigentlich furchtbar finde, um festzustellen, dass es mir sogar ein bisschen gefällt. Ich will einfach nicht denken, nicht entscheiden, nicht agieren. Natürlich gibt es da Grenzen. Bei mir heißt die Grenze Peter Maffay. Da bleibt mir nur zu fluchen, zu zappen oder zu skippen. 

Alles das ist für mich der Markenkern von Radio, egal ob über DAB+, UKW, Web oder Alexa gehört. Egal ob dieser Radiosender FFH, Radio Bollerwagen oder NDR 2 heißt. Aber ein “Playlist-Radio“ von amazon o.ä. mit Hard Rock oder ein Webradio so ganz ohne Moderation oder eine vorgeschlagene Playlist von Spotify leisten dies nicht. Und in meiner persönlichen “Radioformel“ ist das dann eben kein Radio. 

Zu einfach gedacht? Vielleicht. Doch wichtig ist mir zu verstehen, wie Radio funktioniert und was es ausmacht. Und dass das wesentlich moderner klingende Online Audio ein Übertragungsweg ist mit speziellen Möglichkeiten der Werbeeinspielung und Zusatzfeatures. Aber nichts über ein Produkt, eine Marke aussagt. Dass Playlists und user generated content eine super Sache sind, aber nicht viel mit Radio zu tun haben. Da höre ich meine Musik, egal ob über Vinyl, CD oder Playlist. 

Um nun mit Faust und des Pudels Kern abzuschließen: Radio hat sich gewandelt. Es kommt über viele verschiedene Wege und Arten daher und begleitet uns bis in unsere Studierzimmer. Aber es wird nicht zu Mephisto. Es bleibt im Markenkern Radio. Egal ob Audio, Online Audio oder Simulcast genannt. Am Ende begleitet es uns, den einen bei einem Spaziergang, den anderen durchs Leben.


Ihre Juliane Henze

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